ALMA MIA as sung by Roberto Rufino |
Ich bin immer wieder erstaunt, dass der Begriff des Tango Argentino weit genug ist, um Raum für einen 3-er Rhythmus, einen Vals zu schaffen. Ich habe mir sagen lassen, dass der Vals ein Import aus Europa ist, der mit der europäischen Blütezeit des Tangos zurück nach Buenos Aires schwappte. Unverkennbar ist zumindest in Deutschland, dass unsere Seelen Walzer-Seelen sind. Wird auf einer Milonga (sorgfältig eingebettet in Tandas mit Tangos und Milongas) eine Vals-Tanda gespielt, spürt man eine deutlich aufgeregtere Stimmung, eben noch schwatzende Tänzer halten fast hektisch nach der geeigneten Partnerin Ausschau und schwupps ist die ganze Tanzfläche voll glücklich strahlender Tanzpaare. Manch verzweifelter Tänzer stromert noch suchend umher, um doch noch eine letzte Tänzerin für den Vals zu finden, unvorstellbar, das wippen in den Beinen sitzend auszuhalten. Wir haben Walzer-Seelen.
I am time and time again surprised to find that Tango Argentino is wide enough to leave room for a 3-4th rhythm, a vals. I have been told that this vals is a re-import from Europe, brought back to Buenos Aires after the european golden Era of the Tango. Quite obviously at least in Germany (I do not yet have Tango-Experience in other countries), we have waltz-souls. Whenever a vals-tanda is played at a milonga (carefully embedded in Tango-tandas), there is an immediate energization of the entire room, an excited spirit. Conversations quit and dancers eagerly search for the ideal vals-partner. In no time at all every one is on their feet dancing. The few left over dancers err around in search of a partner - impossible to stay seated with those excited legs. We have waltz-souls.
Nun ist so ein Tango Vals schon ganz anders als unser europäischer Walzer. Die große Dynamik auf dem ersten Schlag wird gradlinig in Schwung, nicht aber in ein Eintauchen, Schunkeln oder Wippen umgesetzt. Einen Schwung, den man kaum bremsen mag, so ist auch im Gegensatz zum Tango hier wenig Raum für Stops, es ist eher wie ein gleichmäßiges Fließen. Manche Vals sind neckisch und schnell und lassen Raum für Spielereien und Verzierungen, andere sind eher melancholisch oder traurig und haben ein ruhig fließendes Gefühl, wie ein Fluss, von dem man sich mitziehen lassen will.
But the tango vals does differ quite a bit from the European waltz. The dynamics of the 3/4th rhythm are translated to a linear sweep, not into a diving, turning, swaying movement or "Schunkeln" (there is no such English word, is there?), as common for the waltz. The forward movement, the drive, does not want to be stopped. Therefore, contrary to a tango, there are few stops, more sweeping, flowing motions. Some vals are playful and faster and allow for playful, even flamboyant movements. Others are more melancholic and have a sad, flowing feeling, like a fast flowing river by which you gladly let yourself be swept away.
Einer meiner liebsten Vals derzeit ist ALMA MIA in der Einspielung von Carlos Di Sarli mit dem wundervollen Sänger Roberto Rufino. Hier ist er:
One
of my favorite vals at the time is ALMA MIA as recorded by Carlos Di
Sarli with the fantastic singer Roberto Rufino. Here it is:
Ich finde bemerkenswert, wie Carlos Di Sarli diese einfache Melodie inszeniert. Eigentlich ist es eine Unterhaltung zwischen Streichern und dem Klavier, die in der Mitte Raum für den Sänger machen, um dann wieder über ihm zusammen zu schwappen.
Nach einer knappen Einleitung beginnen die Geigen mit einer Stufe um Stufe absinkenden Melodie-Linie, rhythmisch so simpel wie es nur geht: mit jedem Takt ein Tonwechsel. Nach 16 Takten wird die Linie wiederholt, findet aber ein anderes Ende. Dies ist der Teil A. Im Teil B gibt es ein kleines Frage-Antwort-Spiel: die Melodie windet sich nach oben, um dann wieder herab zu sinken - wieder 16 Takte, die ähnlich wiederholt werden. Das ist im Prinzip alles. Nachdem Teil A und B einmal instrumental gespielt werden, übernimmt die Stimme von Roberto Rufino die Melodie beider Teile. Zum Schluss wird der Teil A noch einmal instrumental wiederholt. Also:
Intro
Teil A instrumental
Teil B instrumental
Teil A Roberto Rufino
Teil B Roberto Rufino
Teil A instrumental
Ich bin fasziniert, wie sich Di Sarli am Klavier mit seinem klaren Anschlag immer wieder in die Melodie-Linie hinein windet, sie manchmal fast auflöst. Zunächst sind es nur Übergänge am Ende einer Phrase. Dann wird er immer raumgreifender, verdichtet die Musik manchmal mit begleitenden Melodie-Fragmenten, manchmal mit ausgeprägter Rhythmik. Die Bandoneons haben hier nicht viel zu sagen. Sie untermalen parallel die Melodie-Linie, geben hauptsächlich Klangfarbe. Nur beim letzten Auftritt des Teils A nach dem Sänger übernimmt für 8 Takte das Bandoneon die Melodie - kaum bemerkt schon wieder vorbei.
I am fascinated by the way Di Sarlys interwines his clear and brilliant piano into the meldoy line, sometimes nearly dissolving it. First, he only builds in transitions at the endings of each phrase. But then he intrudes more and more, sometimes underlining and accentuating the melody, sometimes adding rhythmic patterns, always making the music denser. The bandoneons of the orchestra have a side role here. They accompany the melody line and mainly add a different color to the music. Only once are they allowed to play the melody alone: in the reprise of part A after the singer has finished. 8 bars which are over so fast that you may as well miss them.
Der Teppich unter allem ist der 3er Rhythmus. Die meiste Zeit übernimmt Di Sarli als Klavier-Rhythmusgruppe die (um)Ta-Tas, also die Schläge 2 und 3. Während Rufino singt übernehmen die Geigen diese Rolle. Spannend finde ich, wie in den letzten 16 Takten des Teil B des Sängers die Geigen diese Rolle verlassen und eine viel dichtere Struktur von 8teln spielen, die eine ganz besondere Dynamik erzeugen.
The background for this mise-en-scene is the 3-4th rhythm, nearly entirely produced by Di Sarli with his „piano-rhythm-group“. He accentuates the beats 2 and 3 of this rhythm, the (um)-ta-ta, giving it a constant drive. Only in the parts where Rufino takes over the melody line and the violins otherwise would be unemployed, to they take over the rhythm-machine, the 2s and 3s. Towards the end of Rufinos part B, the violins produce a very dense structure of repeated 8th notes, densing up the structure and creating the climax of the song.
Hört Euch den Vals noch mal an, nur mit Ohren für die süffigen Streicher. Und dann noch einmal ganz Ohr für das brilliante Klavier-Spiel von Di Sarli. Und natürlich noch einmal mit dem Fokus ganz auf die junge Stimme von Rufino gerichtet und den Inhalt der sehnsuchtsvollen Worte von Héctor Marcó:
Listen to the vals once more, all ears for the sweet and rich sound of the violins. And then one time just listening to the brilliant and sparkeling piano of Di Sarli. Can you hear his personality gleaming through his playing? And then just for the delight of it, listen to it once with ears only for the young and charming voice of Rufino, absorbing the yearning words of Héctor Marcó:
Alma mía, ¿con quién soñás? / He venido a turbar tu paz. / No me culpes, soy un cantor / que ha querido mezclar a tu sueño / un verso porteño borracho de amor.
Si despiertas, no maldigas / llego aquí porque te adoro, / porque sufro, porque imploro, /
porque quiero que me digas, / si es verdad que cuando sueñas / me acarician tus amores. / Mariposa, tus colores / me han robado el corazón.
Meine Seele, von wem träumst Du? / Ich bin gekommen, um Deinen Frieden zu stören. / Verurteile mich nicht, ich bin ein Sänger / der sich in Deinen Traum hinein mischen wollte / ein Vers aus Buenos Aires, besoffen von Liebe.
Wenn Du erwachst, fluche nicht / Ich komme hierher, weil ich Dich verehre, / weil ich leide, weil ich Dich anflehe, / weil ich mich danach sehne, dass Du sagst / dass es wahr ist, dass wenn Du träumst / Deine Liebe mich liebkost. / Du Schmetterling, deine Farben / haben mir das Herz gestohlen.
My soul - what are you dreaming of? / I came to disturb your peace. / But don't condemn me, I am a singer / who yearns to weave into your dreams / a verse of Buenos Aires, drunk of love.
When you awake, don't curse me / I am here because I adore you / because I suffer, because I implore you / because I yearn for you to tell me / if it is true that when you are dreaming / your love is caressing me. / Your colors, butterfly, / have stolen my heart.
Ich finde bemerkenswert, wie Carlos Di Sarli diese einfache Melodie inszeniert. Eigentlich ist es eine Unterhaltung zwischen Streichern und dem Klavier, die in der Mitte Raum für den Sänger machen, um dann wieder über ihm zusammen zu schwappen.
I
find it quite remarcable how Di Sarli stages this simple melody. In
essence, it is a conversation between the strings and the piano,
making room for the singer in the middle.
Nach einer knappen Einleitung beginnen die Geigen mit einer Stufe um Stufe absinkenden Melodie-Linie, rhythmisch so simpel wie es nur geht: mit jedem Takt ein Tonwechsel. Nach 16 Takten wird die Linie wiederholt, findet aber ein anderes Ende. Dies ist der Teil A. Im Teil B gibt es ein kleines Frage-Antwort-Spiel: die Melodie windet sich nach oben, um dann wieder herab zu sinken - wieder 16 Takte, die ähnlich wiederholt werden. Das ist im Prinzip alles. Nachdem Teil A und B einmal instrumental gespielt werden, übernimmt die Stimme von Roberto Rufino die Melodie beider Teile. Zum Schluss wird der Teil A noch einmal instrumental wiederholt. Also:
Intro
Teil A instrumental
Teil B instrumental
Teil A Roberto Rufino
Teil B Roberto Rufino
Teil A instrumental
After
a short 9-bar-introduction the violins take up their melancholy
melody line, a simple suite of notes descending bar by bar. After 16
bars this melody is repeated but finds a different ending. This is
part A. In part B, the melody winds itself upward, building up
tension, only to recede again, ebbing away – again 16 bars which
are repeated in a similar way. Thats more or less all. Parts A and B
are played once, then Roberto Rufino takes over parts A and B, and
finally, part A is repeated one last time only by the orchestra.
Intro
Part A instrumental
Part B instrumental
Part A Roberto Rufino
Part B Roberto Rufino
Part A instrumental
Ich bin fasziniert, wie sich Di Sarli am Klavier mit seinem klaren Anschlag immer wieder in die Melodie-Linie hinein windet, sie manchmal fast auflöst. Zunächst sind es nur Übergänge am Ende einer Phrase. Dann wird er immer raumgreifender, verdichtet die Musik manchmal mit begleitenden Melodie-Fragmenten, manchmal mit ausgeprägter Rhythmik. Die Bandoneons haben hier nicht viel zu sagen. Sie untermalen parallel die Melodie-Linie, geben hauptsächlich Klangfarbe. Nur beim letzten Auftritt des Teils A nach dem Sänger übernimmt für 8 Takte das Bandoneon die Melodie - kaum bemerkt schon wieder vorbei.
I am fascinated by the way Di Sarlys interwines his clear and brilliant piano into the meldoy line, sometimes nearly dissolving it. First, he only builds in transitions at the endings of each phrase. But then he intrudes more and more, sometimes underlining and accentuating the melody, sometimes adding rhythmic patterns, always making the music denser. The bandoneons of the orchestra have a side role here. They accompany the melody line and mainly add a different color to the music. Only once are they allowed to play the melody alone: in the reprise of part A after the singer has finished. 8 bars which are over so fast that you may as well miss them.
Der Teppich unter allem ist der 3er Rhythmus. Die meiste Zeit übernimmt Di Sarli als Klavier-Rhythmusgruppe die (um)Ta-Tas, also die Schläge 2 und 3. Während Rufino singt übernehmen die Geigen diese Rolle. Spannend finde ich, wie in den letzten 16 Takten des Teil B des Sängers die Geigen diese Rolle verlassen und eine viel dichtere Struktur von 8teln spielen, die eine ganz besondere Dynamik erzeugen.
The background for this mise-en-scene is the 3-4th rhythm, nearly entirely produced by Di Sarli with his „piano-rhythm-group“. He accentuates the beats 2 and 3 of this rhythm, the (um)-ta-ta, giving it a constant drive. Only in the parts where Rufino takes over the melody line and the violins otherwise would be unemployed, to they take over the rhythm-machine, the 2s and 3s. Towards the end of Rufinos part B, the violins produce a very dense structure of repeated 8th notes, densing up the structure and creating the climax of the song.
Hört Euch den Vals noch mal an, nur mit Ohren für die süffigen Streicher. Und dann noch einmal ganz Ohr für das brilliante Klavier-Spiel von Di Sarli. Und natürlich noch einmal mit dem Fokus ganz auf die junge Stimme von Rufino gerichtet und den Inhalt der sehnsuchtsvollen Worte von Héctor Marcó:
Listen to the vals once more, all ears for the sweet and rich sound of the violins. And then one time just listening to the brilliant and sparkeling piano of Di Sarli. Can you hear his personality gleaming through his playing? And then just for the delight of it, listen to it once with ears only for the young and charming voice of Rufino, absorbing the yearning words of Héctor Marcó:
Alma mía, ¿con quién soñás? / He venido a turbar tu paz. / No me culpes, soy un cantor / que ha querido mezclar a tu sueño / un verso porteño borracho de amor.
Si despiertas, no maldigas / llego aquí porque te adoro, / porque sufro, porque imploro, /
porque quiero que me digas, / si es verdad que cuando sueñas / me acarician tus amores. / Mariposa, tus colores / me han robado el corazón.
Meine Seele, von wem träumst Du? / Ich bin gekommen, um Deinen Frieden zu stören. / Verurteile mich nicht, ich bin ein Sänger / der sich in Deinen Traum hinein mischen wollte / ein Vers aus Buenos Aires, besoffen von Liebe.
Wenn Du erwachst, fluche nicht / Ich komme hierher, weil ich Dich verehre, / weil ich leide, weil ich Dich anflehe, / weil ich mich danach sehne, dass Du sagst / dass es wahr ist, dass wenn Du träumst / Deine Liebe mich liebkost. / Du Schmetterling, deine Farben / haben mir das Herz gestohlen.
My soul - what are you dreaming of? / I came to disturb your peace. / But don't condemn me, I am a singer / who yearns to weave into your dreams / a verse of Buenos Aires, drunk of love.
When you awake, don't curse me / I am here because I adore you / because I suffer, because I implore you / because I yearn for you to tell me / if it is true that when you are dreaming / your love is caressing me. / Your colors, butterfly, / have stolen my heart.
Liebe Toscabelle,
AntwortenLöschenein Tango-Freund hat mich auf deinen Blog aufmerksam gemacht, und ich habe mit Begeisterung diese Analyse eines Tango-Stücks gelesen. Wunderbar! Wenn man ein Stück mal so genau gehört hat, tanzt man anders drauf, objektiv besser und subjektiv mit größerer Freude.
Und es ist schön zu lesen, wie du dich Schritt für Schritt in den Tango hineinfindest. Ich freu mich schon auf deine nächsten Einträge.
Herzliche Grüße aus München
Theresa
Hallo Theresa! Danke für Deine Rückmeldung. Das motiviert! Machmal wundert man sich, ob überhaupt jemand den eigenen Klugschiss lesen will.
LöschenIch wünsche Dir ebenfalls viel Freude mit Deinem Tango!
Liebe Toscabelle
LöschenIch lese sehr gerne deinen Blog und freue mich über deine Zeichnungen. Danke dafür.
Gruss
Danke Dora D'Istria! ;-)
LöschenAuch ich möchte mich herzlich bedanken für die interessante musikalische Entschlüsselung und bin sicher, daß dieses Blog viele Leser hat, die - so wie ich - oft nur lesen & still genießen, ohne immer zu kommentieren! Herzliche Grüße, ein Tango-Amateur ;-)
AntwortenLöschenLieber Mit-Amateur, vielen Dank! Ist es nicht schön, unterwegs zu sein? Viel Freude bei Deinem Tango!
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