Nach fast 2 Jahren intensiver Beschäftigung mit dem Tango durchlebe ich gerade eine sehr stille, Tango-arme Phase. Das erkennt man unschwer an den ausbleibenden Posts der letzten Monate. So richtig geht es nicht voran, ich habe wenig Gelegenheiten, Tanzen zu gehen, viele familiäre Verpflichtungen, die mich immer wieder davon abhalten. Dazu kommen noch ein paar eher unschöne, frustrierende Milonga-Erlebnisse und dann überraschend das erste Mal der Gedanke: Und wenn ich jetzt einfach damit aufhöre und den Tango ad acta packe? Diese ganze Mühe, die vielen Abende unterwegs mit den für mich meist langen Anfahrten, die manchmal so komplizierte Aufforderungs-Situation auf Milongas, der durchaus weit verbreitete Snobismus, die Kosten der vielen Stunden Unterricht, die Selbstzweifel, die Verzweiflung, wenn es einfach gar nicht oder nur sehr schleppend voran geht... Warum tue ich das eigentlich?
After nearly two years of intensive occupation with tango and it's universe, I am living through a rather calm, tango-arid phase. The missing posts of the last month tell the tale. Somehow, things are not evolving. I have little opportunity to go dancing and have had a few frustrating milonga-experiences. And then, out of the blue, the thought jumped at me: What if I simply stop and call it a day? All the pain I go into to take lessons, to find the time, all those evenings fought free to go out dancing, often with long drives and late nights, the sometimes so complicate way to actually get to dance, the widely spread snobbism of the in-crowd, the costs of lessons the self-doubt, the dispair when things just don't move. Why do I do this?
Eine Weile lang marschiert man unverdrossen auf ein Ziel zu, voller Erwartung, es zu erreichen, voller Vorfreude, mit Elan und der Überzeugung, alles für dieses Ziel aus dem Weg räumen zu können. Ein wenig ist es wie eine Verliebtheit. Alles scheint möglich und man kann sich nicht vorstellen, dass in ein paar Jahren eine bestimmte Angewohnheit des geliebten Partners einen zur Weißglut bringen kann, unendlich scheinen die Reserven an Toleranz und Freude. Aber dann, mitten im Galopp, merkt man, dass sich etwas geändert hat. Wenn ich es so betrachte, ist meine erste Verliebtheit mit dem Tango vorbei. Ich schaue etwas mehr hinter die Kulissen, sehe Falten und Speckröllchen, sehe, wie weit das Ziel noch entfernt ist... Hänge ich den Tango jetzt an den Nagel, ein altmodischen gerahmtes Bild, welches mich an eine schöne vergangene Zeit erinnert?
For a certain while, you can march towards a goal assiduously, filled with the expectation to reach it, full of anticipation, with vigor and with the conviction to be strong enough to move all obstacles out of the way. In a way, this resembles an infatuation. Absolutely everything seems obtainable and it is impossible to imagine that in a few months or years, a certain habit of the beloved will have the power to drive you mad. The resources of tolerance and joy seem infinite. And then, out of nowhere, things change. Looking at it this way, it seems my first infatuation with tango has ebbed away. I am looking beyond the facade, I see the wrinkles and love handles, see how far away I still am of my tango nirvana. Shall I just chuck it? Hang it on a nail, a picture in an old-style frame to remind me of the days gone by?
Ich muss dringend zusehen, mir wieder ein paar schöne Tango-Erlebnisse zu schaffen, damit der Funke nicht erlischt. Ein paar schöne Milongas, inspirierenden Unterricht, Impulse. Natürlich gebe ich noch nicht auf. Mal schauen, ob aus dieser Affäre nicht doch noch eine reifere Liebe wird...
I urgently need to produce a few inspiring and joyfull tango experiences to keep the spark glowing. One or two pleasant Milongas would do. Or inspiring lessons, any sort of impulse. You certainly knew it before me - I will not give up. Lets see if we can turn this infatuated affair into a profound affinity...
oh - das kenne ich sehr gut. . Aber, ich hatte mir tatsächlich sorgen gemacht, weil hier lange keine Posts mehr waren (ich nämlich fast süchtig danach geworden). Es kamen sogar schlimme Gedanken, ob etwas passiert sei - mit so viel Liebe waren Deine Posts, dass man sich ein Aufgeben-Szenario gar nicht vorstellen konnte. Die Entscheidung kann Dir natürlich niemand nehmen. Ich weiß nur, dass ich Deinen Blog sehr vermissen würde – zumindest solange ich noch in irgend einer Form an Tango denke ;-). Araja.
AntwortenLöschenLiebe Araja! Danke für Deine Gedanken und Dein Mitbibbern! Ich werde nicht aufgeben. Aber ich wäre ja auch wohl ein Übermensch oder Unmensch, wenn mich die Zweifel nicht auch mal packen würden. Irgendwie gehört das ja zum Lernen mit dazu. Ich bin gespannt, wie sich alles weiter entwickelt. Was nach den Zweifeln kommt... Heute ist erst mal wieder Tango-Unterricht! Heissa!
LöschenLiebe Toscabelle,
AntwortenLöschenbei der offenen Tango-Klasse, an der ich und mein Partner wöchentlich und seit vielen Jahren teilnehmen, haben wir schon viele kommen und nicht (nie?) wiederkommen sehen... Als wir, am Schluss einer Stunde beim Hinausgehen, mit unserem Tangolehrer darüber sprachen sagte er: "Aber, ihr habt ja eine Versicherung." Ich fragte zurück: "Wie meinst Du das?" Er erwiderte: "Ja, ihr habt ja die Musik!" Verblüffend, oder? Mit Antworten à la: "Tango ist harte Arbeit, die meisten wollen heutzutage schnellen Erfolg, .. sind nicht mehr bereit, durchzuhalten .." usw. und so fort hätte ich gerechnet, aber mit dieser simplen Feststellung nicht: "Ihr habt ja die Musik!" Dieser einfache, kurze Ausspruch. Das in Worte fassend, was ich schon längst fühlte, wovon ich längst überzeugt war, ohne es bewusst zu wissen .. Ja, die Musik, die Musik ist der Schlüssel! Und das als Versicherung zu ver- "ant-" "worten", gefällt mir sehr!!!
Ein weiterer Aspekt: Raus aus der Isolation! Ich glaube, dass es wichtig ist, besonders nach einer Phase intensiven Übens im Einzelunterricht -regelmäßig- auch an Tango-Klassen teilzunehmen. Du bekommst dort Tanzpraxis und lernst andere Tänzer in einem nicht so offiziellen und per definitionem auch fehlertoleranten Rahmen kennen. Ideal wäre es, wenn sich da etwas fände, wo auch Milongas stattfinden. So schlägst du zwei Fliegen mit einer Klappe. Du bekommst mehr Selbstvertrauen, und ich behaupte das ganz einfach mal, dass im Milongamodus die Hemmschwelle der Führenden, dich aufzufordern, deutlich leichter zu überwinden ist, wenn sie dich vom Übungsmodus her schon kennen.
Ein Anfang und in jedem Fall ein Gewinn könnte die Teilnahme an einer Práctica direkt vor der Milonga sein. Man kommt gut in den Abend/die Nacht hinein, hat garantiert mindestens eine Stunde schon getanzt und auch mal andere Lehrer ausprobiert/kennengelernt.
Last but not least: Hier ein weiterführender Link zum Thema: http://escuelatangoba.com/blog/2013/09/07/what-is-your-goal-in-learning-tango/
Alles Gute!
Sil
Liebe Sil! Vielen Dank für Deine Gedanken und das Mut machen. Ja, das mit der Musik-Versicherung ist treffend ausgedrückt. Ich finde es allerdings völlig okay, wenn man den Tango ausprobiert und ihn nicht als seine persönliche Droge erkennt. Da ist er halt auch unerbitterlich: entweder ganz oder gar nicht. Das kann man nur durch Ausprobieren feststellen. Und natürlich hast Du recht: Ich muss nach dieser langen mageren Zeit wieder unters Volk. Bin auch schon wieder voller Tatendrang und werde mich wieder ins Gewühl stürzen. Der Link ist wunderbar, danke!
LöschenViele Grüße!
Hallo liebe Kollegin, Du beschreibst sehr schön, was jeder Tanguera und jedem Tanguero ab und zu nach meinen Beobachtungen in ihrer/seiner Tango-Karriere passiert. Pausen sind nach meiner Erfahrung Zeiten des Wachstums. Die glühende Leidenschaft des Beginns verfliegt und andere Aspekte im Tango treten in den Vordergrund. Auch mir ergeht es in unregelmäßigen Abständen so. In meinem Fall ist es vielleicht noch ein wenig "schlimmer", ich lerne sehr sehr langsam.
AntwortenLöschenVielleicht gibt es da auch einen gefühlten "Druck" der Umwelt. Schließlich leben wir in einer Gesellschaft, in der alles sofort gelingen muss. Wenn ich so aus der Ferne Deine Entwicklung mit meiner eigenen Entwicklung vergleiche, dann kann ich Dich beruhigen: Du bist sehr schnell auf einen guten Weg gekommen (ich habe nach zwei Jahren Tango immer noch nach "meinem" Tango und Milongas, auf denen ich mich wohlfühle, gesucht).
Ich möchte Dir Mut machen, Deinen Weg konsequent weiter zu gehen und auch eine Sprache zu finden, die es Dir ermöglicht, über Deine Anfragen an den Tango und dessen Praxis hier zu schreiben.
Einstweilen herzliche Grüße
c.
Danke, Cassiel! Deine Gedanken machen Mut. Ich brauchte eine Weile um zu verstehen, was in mir passiert. Ich bin bereit, alles was mir in diesem Experiment passiert, anzunehmen. Und einiges davon zu teilen. Denn dieser Blog ist nicht nur über Tango, sondern auch über das Lernen. Du hast mit Deinen Gedanken über die Erwartungen unserer Gesellschaft voll ins Schwarze getroffen. Wir erwarten perfekte Menschen, Fehler haben nur die anderen. Das ist Stillstand. Und ein immenser Druck. Fehler zu machen ist der einzige Weg zu lernen. Ich stehe zu meinen Fehlern so gut ich kann. Meine Ängste sind mit im Paket. Das war auch der Grund, warum ich diesen Post geschrieben habe, obwohl darin nichts begeisterndes über Tango zu lesen ist. Ich wollte über den Stillstand, das Zaudern und Hinterfragen erzählen. Aber alleine diese Gedanken zu formulieren hat schon viel in mir ausgelöst, ich berichte zeitnah darüber!
LöschenHerzliche Grüße retour!
Cassiel hat sowas von recht.
AntwortenLöschenAuch ich durchlaufe regelmäßig und immer wieder kleine oder größere Krisen, die im Ein- oder Zweijahreszyklus auftreten.
Gelegentlich muss etwas reifen und zum Glück läufts es danach meist besser.
Ja, ja, ich weiß ja, meine Bedingungen sind erheblich einfacher als nun gerade Deinen es im Moment sind, Toscabelle (meine Frau tanzte schon vor mir und hat mich heran geführt, ich lebe in einer Metropole mit unzähligen täglichen Tanzmöglichkeiten und die Kinder sind erwachsen).
Ich sach ma: Es wird schon werden.
lg Klaus
;-) Danke, Klaus!
LöschenLiebe Toscabelle ;-)
AntwortenLöschenauch ich möchte Dir sagen,
dass ich Deinen Blog sehr vermissen würde!
Umso mehr freue ich mich, dass Du nach geraumer Zeit wieder einen, nein gerade "diesen Post geschrieben [hast], obwohl darin nichts Begeisterndes über Tango zu lesen ist"! Denn auch das gehört doch zur Entdeckungsreise in die Welt des Tango dazu: mal gibt's eben ausgiebigen Sonnenschein, aber auch mal längere Regenperioden ;-)
Insbesondere den Ausführungen von Sil kann ich nur beipflichten!
... und möchte Dir gern noch einige weitere Anregungen geben:
> mit den für mich meist langen Anfahrten,
Ist es denkbar, im näheren Umkreis Deiner offenbaren Tango-Diaspora (evtl. mittels einer kreativen Kooperation) eine regelmäßige (!) offene Practica, oder besser noch eine sogenannte "Practicalonga" zu organisieren? Das könnte ein in vielerlei Hinsicht lohnenswertes und machares Engagement sein.
> die manchmal so komplizierte Aufforderungs-Situation auf Milongas ..
Kannst Du bitte die speziellen "Kompliziertheiten", denen Du da besonders oft begegnest, evtl. noch in etwas ausführlichere Worte fassen? Vielleicht lassen sich dann hier in Deinem Blog von uns auch ein paar hilfreiche Gegen-Strategien zusammentragen...
> der durchaus weit verbreitete Snobismus,
Ist da Deine "lokale" Tango-Szene besonders befallen davon? Welche Artikulation von Snobismus ist es denn in erster Linie, die Dich so plagt und am Genießen eines Tango-Abends hindert? Auch da ist evtl. eine wirksame Abhilfe denkbar! ;-)
Entschieden in Frage stellen möchte ich dagegen Dein Statement
"Da ist er halt auch unerbitterlich: entweder ganz oder gar nicht."
Meine liebe toscabelle, unerbittlich ist doch sicherlich nicht der Tango selbst, sondern höchstens die absolutistische Interpretation des Tangos durch die ein oder andere mit angeblicher Deutungshoheit ausgestattete und sich allzu fundamentalistisch gebärdende Tango-Instanz!
=> Stoße beherzt diese Tango-Instanzen von Ihrem tönernen Sockel und kreiere Dir eine ganz eigene Interpretation und Ausgestaltung "Deines" Tangos.
Es gibt ganz sicher auch im Tango mehr als nur ein "unerbittliches entweder ganz oder gar nicht.", mehr als schwarz oder weiß! Dabei wünsche ich Dir weiterhin ganz viel Entdecker-Freude !!!
Ein Tango-Amateur ;-)
Lieber Tango-Amateur! Danke für Deine anregenden Gedanken. Ich werde sie mitnehmen und die einzelnen Themen "on-the-go", also mit ganz konkretem Hintergrund hier in meinem Blog ansprechen. Es widerstrebt mir eigentlich, das so pauschal zu tun, war aber mal nötig, um es aus mir heraus zu bringen und mich wieder etwas frei zu schwimmen.
LöschenBei der Unerbitterlichkeit des Tangos hast Du mich vielleicht falsch verstanden. Ich empfinde Tango schon als Entweder-Oder Projekt. Es ist kaum möglich, Tango nur ein bisschen so nebenbei zu lernen oder zu betreiben. Denn es ist aufwendig, sich so umzukonditionieren, dass Körper und Seele diese komplexen Abläufe mit Leichtigkeit aus dem Unbewusstsein abgreifen können. Ein bisschen Tango geht irgendwie nicht. Das ist jedenfalls meine Erfahrung. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass man hier nicht einfach nur so tun kann. Tango bringt eine gewisse Ehrlichkeit mit sich. Man spürt sofort, wo der andere Tanzpartner gerade ist, man kann sich nicht verstecken. Darin ist er unerbitterlich und das ist hier eine wohltuende Qualität! Ich höre allen möglichen Tango-Instanzen zu, sehe ihnen zu, und versuche dabei, meinen eigenen Weg zu finden und zu gehen. Ich brauche keinen von seinem Sockel zu stoßen.
Die Entdeckerfreude wird bleiben, das Leben fließt nicht gradlinig, sondern in Wellen. Ich bin gespannt auf die nächste Welle!
Viele Grüße
Toscabelle
Guten Abend, Missy Toscabelle!
AntwortenLöschenIch kann mich "Sil" nur anschließen: "Ja, ihr habt ja die Musik!"
In den vergangenen 8 Jahren gab es 2x 3 Jahre einer vollkommenen (Tanz-)Unterbrechung, geblieben ist die Tango-, Neotango- und Electrotangomusik.
Vor einer Woche wurden für mich aus Buenos Aires von einem Piazzolla-Interpreten CDs am Alexanderplatz Berlin hinterlegt. Die Wege kreuzen sich immer wieder. In der jetzigen Babyelternzeit ist der Tangotanz wahrscheinlich wieder ein fernes (wieder neues) Ziel. Aber unsere Tangozeitung (die ich jetzt extra nicht nenne) bleibt.
Es ist kein Voodoo, kein Fluch, keine Metaphysik, keine Psychose, kein Zwang, kein Aberglaube: Es ist einfach so.
Und Deine Texte und v.a. Zeichnungen sind bemerkenswert: Sie sind für Deine Seele und für Dich allein - und natürlich freuen sich hier alle.
Danke für Dein Lebenszeichen! Maria, Anthony, Pablo, Sebastián, Elif
"Es ist was es ist, sagt der Tango" - frei nach Erich Fried
LöschenDanke für Deine Rückmeldung, Anthony. Ich freue mich regelmäßig an milonga.me (die Tangozeitung, die ich extra nenne) und bin berührt von Eurer Anteilnahme. Danke!
Hallo Tango-Amateur,
AntwortenLöschenich habe den Post von Toscabelle jetzt noch mehrfach gelesen und kann deine Reaktion darauf immer weniger verstehen.
Sie schreibt von wenig Zeit, langen Anfahrten, dem teuren Unterricht, den Selbstzweifeln.
Sicher, sie schreibt auch von Snobismus und der vertrackten Aufforderungspraxis, aber das sich doch aber eher nebensächliche Punkte und ich würde dem in jedem Fall zustimmen. Die Szene ist teilweise reichlich snobistisch und zieht komische Vögel an und die Aufforderungspraxis ist schwierig zu verstehen, weil da in vielen Milongas gleichzeitig völlig unterschiedliche und sich wiedersprechende Aufforderungspraktiken angewendet werden.
Und sie erkennt, wie schwierig es wirklich ist, sieht das eigene Tanzen realistischer und erkennt wie weit der Weg noch ist, den sie noch gehen muss, um auch ihren eigenen Ansprüchen zu genügen.
Bei aller Anteilnahme, was hat das alles mit dem fundamentalistischen Tango-Instanz-Popanz (die Tango-Taliban schon wieder?) zu tun, den du da in den beiden letzten Absätzen aufbaust und der für die Alles-oder-Nichts Position von Toscabelle verantortlich sein soll?
Klaus