Nach einer halben Stunde begann sich die Milonga langsam zu füllen. Zu meiner Freude tauchten auch meine Tanzlehrer auf - zumindest eine schöne Tanda mit meinem Tangolehrer war also gesichert. Die Musik war wunderbar, eigentlich perfekt, wären da nicht die etwas überforderten Lautsprecher, die in den Höhen zu klirren begannen und auch im Bassbereich ausbrachen. Das war grade zu Anfang für meine Musikerohren ein wenig anstrengend. Mit der Zeit gewöhnten sich meine Ohren aber daran oder mein Hirn legte den Fokus auf andere Bereiche.
Die Tanda mit meinem Tanzlehrer lief besser als das letzte Mal, hatte ich mich nun schon ein wenig an die enge Umarmung gewöhnt. Im Unterricht tanzen wir immer in der offenen Umarmung. So kann ich mehr bei mir bleiben, meine Ballance finden, die Bewegungen sauber ausführen. Aber eine offene und eine enge Umarmung fühlen sich anders an, die Körperballance muss ich erst anpassen und das braucht halt ein wenig. Drei weitere Tandas durfte ich tanzen, mit sehr unterschiedlichen Tänzern. Eine Frau führte mich sehr angenehm und ließ mir Raum, mich zu fühlen, mit ihr hätte ich gerne noch weitere Tandas getanzt. Ein etwas großer Herr forderte mich ausgerechnet zu einer Milonga auf - die habe ich noch viel zu wenig getanzt und fühle mich vom Tempo noch überfordert. Aber beglückt, wieder tanzen zu können, lehnte ich nicht ab. Er hatte ja schon gesehen, dass ich Anfängerin bin und führte mich wohl demzufolge so eng und mit festem Griff im Rücken, dass ich kaum mehr richtig selber stehen konnte. Wie soll man da eine Ballance halten oder gar Schritte setzen? Die Folge waren polierte Schuhspitzen bei mir. Wie gut, dass ich keine offenen Schuhe trug! An den Milongas muss ich dringend noch arbeiten. Lektion zwei: höflich um etwas mehr Raum bitten, wenn ich nicht mehr sicher stehe. Dennoch hatte ich bei der Tanda viel Spaß, denn Milongas gefallen mir gar sehr.
Gegen 1 Uhr bin ich nach Hause gefahren und war zum Einen ganz zufrieden mit dem Resultat (immerhin 4 Tandas, eine davon mit dem besten Tänzer im Saal, meinem Tanzlehrer), zum anderen entmutigt bei dem langen Weg der mir noch bevor steht, bevor ich mich sicher auf einer Milonga bewegen kann, so dass ich mich wohl fühle.
Generell schwirren seit dem Abend ein paar Fragen und Gedanken in meinem Kopf herum:
Ich konnte sehr viele sehr verschieden Führungsstile beobachten. Bei einigen war ich froh, nicht in Versuchung zu kommen, mit den Tänzern zu tanzen, denn ich konnte ihnen schon beim Zuschauen nicht richtig folgen. Und wie schafft man es als Frau (und vice versa als Mann), sich in rasendem Tempo auf den Führungsstil, also den Charakter des Tanzpartners einzustellen? Okay, man beobachtet vorher ein wenig. Aber wie es sich anfühlt ist dann ja noch mal ein ganz anderes Paar Schuhe. Ich würde mir besonders als Anfängerin wünschen, etwas Zeit zu bekommen, bei ganz einfachen Schritten, beim Gehen, mich auf den Tänzer, die Haltung, die Nähe einzufühlen, bevor es ans Eingemachte geht. Das würde meinen eigenen Genuss deutlich erhöhen. Und damit doch sicher auch den des Partners, oder?
Zum Anderen beschäftigt mich die Diskrepanz zwischen meinem innen Gefühl für Tango, welches auf sehr feiner Abstimmung beruht, viel mit Erdung und manchmal sogar mit Flow zu tun hat, und dem auf Milongas erlebten Tango, bei dem viel extrovertierter getanzt wird, auch auf die Gefahr hin, dass eine Tänzerin mal ein wenig die Bodenhaftung verliert. Da fliegen Beine, gibt es Showeinlagen, profilieren sich Tänzer, ohne den Fokus auf ihren Tanz-Partnerinnen zu haben. Hatte ich nicht irgendwo mal gelesen, ein guter Tänzer sein der, der die Frau mit schönen Schritten zum leuchten bringt? Ich habe an diesem Abend zwei Paare gesehen, vielleicht drei, die so tanzten. Eines davon waren meine Tanzlehrer. Wie schön!
Dear English readers! The English translation of this post will follow later, I hope you will forgive me for this delay!
Diese Paeaerchen, von denen du glaubst, dass die sich perfilieren -- es koennte sein, dass sie wirklich schlechte Taenzer sind, wie du vermutest. Oder auch nicht. Hab ein wenig Geduld und Demut -- als Anfängerin kannst du das sehr schlecht beurteilen. Die Musik ist nicht immer sanft, ruhig, glatt, usw. Manchmal ist sie auch rhyhtmisch markiert, energiebeladen, dramatisch, usw. und schreit danach, entsprechend getanzt zu werden (wenn der Platz es erlaubt). Gute Taenzer werden das dann auch tun. Und das sind keine "Showeinlagen", sondern ihr natürlicher, lebenserfuellter, gluecklicher, sich-fuer-beide-Partner-wunderschoen-anfuehlender Tanz.
AntwortenLöschen"Und wie schafft man es als Frau (und vice versa als Mann), sich in rasendem Tempo auf den Führungsstil, also den Charakter des Tanzpartners einzustellen?" Das geht meistens problemlos -- es ist Erfahrungssache.
Aber du hast volkommen recht -- als Anfängerin, fange mit dem Einfachen an. Und bleibe lange dabei. Nachher wird sich das Komplizierte, Schoene, usw, sich von selber ergeben...
Vielen Dank für die Rückmeldung! Und die Erweiterung meines Wortschatzes um "perfilieren" - das trifft es viel besser als "profilieren", weil es nach Perfektion zu streben scheint. ;-) Es beruhigt mich, dass das mit dem Einstellen auf den Tanzpartner sich übt und irgendwann von alleine geht. Natürlich ist es hier auch die Frage, welche Niveaus auf einander treffen. Und zum einfach tanzen: Ich bin sehr glücklich mit dem Einfachen, das ich tanzen kann und finde das durch aus auch schön und beglückend!
LöschenIch komme jetzt mal ein bißchen verspätet dazu.
AntwortenLöschenToscabelle, wenn der Führende wirklich gut ist, dann wird er mit der einen Frau einen rasenden Tango (oder Milonga) hinlegen und mit Dir -da brauchst Du keine Sorgen haben- einen ganz entspannten, einfachen Tanz hinlegen.
;-) Das hieße, dass es egal ist, wie gut oder schlecht die Frau ihre Balance hält, wie gut oder schlecht sie die Führungs-Energie übernimmt? Einerseits macht mir das Mut, andererseits bin ich ein wenig ungläubig...
LöschenNEIN. ;-)
LöschenSo habe ich das nicht gemeint.
Das ist natürlich überhaupt nicht egal wie Du in der Achse stehst usw. Dir nicht und uns Führenden auch nicht.
Was ich meinte bezog sich auf Deine Aussage:
"Bei einigen war ich froh, nicht in Versuchung zu kommen, mit den Tänzern zu tanzen, denn ich konnte ihnen schon beim Zuschauen nicht richtig folgen."
(Ich wette, das waren entweder Alonso oder Mario ...)
"Ich würde mir besonders als Anfängerin wünschen, etwas Zeit zu bekommen, bei ganz einfachen Schritten, beim Gehen, mich auf den Tänzer, die Haltung, die Nähe einzufühlen, bevor es ans Eingemachte geht."
Ich wollte nur ausdrücken, dass die wirklich guten Tänzer schnell raus haben was Du kannst und was nicht.
Und wenn sie wirklich gut sind, werden sie dich nicht (zu sehr) überfordern.