Ich habe den Eindruck, man kann dem Tango Argentino von zwei sehr unterschiedlichen Seiten her nahe kommen. Von der einen Seite kommend lernt man unzählige Schrittfolgen, Figuren, und ruft sie beim Tanzen ab, um sie perfekt aneinander zu puzzeln. Man kann immer und immer mehr Schrittfolgen lernen, aber egal wie viele es sind, irgendwann kommt man an eine Begrenzung. Der Wille ist ein führendes Element, denn er sammelt um besser zu werden immer mehr Figuren.
I have the impression you can learn Tango from two quite opposite sides. Approaching from one side, you learn steps and figures, many of them, and try to reproduce them when dancing, adding them up to a row of movements. You can learn more and more figures, but no matter how many you learn, you will at one point reach a limit. My will is a leading element here, trying to collect more and more figures to become a better and better dancer.
Die andere Herangehensweise führt über das Lernen einer Grundeinstellung zu sich und zum Tango. Einem Erlernen der kleinster Nenner aller Schritte und Figuren. Dieser Weg geht davon aus, dass im Tango Argentino die Schritte und Folgen improvisiert werden und versucht die besten Voraussetzungen dafür zu schaffen. Elemente dieses kleinsten Nenners sind Balance, Achse, Natürlichkeit, Loslassen. Es wird sich deutlich länger und intensiver mit diesen Grundlagen beschäftigt, eröffnet aber auf lange Sicht das größte mögliche, fast unendliche Spektrum an Schritten und Figuren, da jeder Schritt beliebig improvisiert werden kann.
The second approach leads through a basic adjustment to the Tango. The learning of the basic elements of Tango. This approach considers Tango an improvised dance and teaches the basic elements providing the best precondition. Some of these basic elements are balance, axis, naturalness and letting go. There is more time spent with these basics but in the long run allows the largest possible amount of steps and figures since every step can be changed and improvised at any given moment.
Dieses Wort "Loslassen" kam eben so umprätentiös daher, aber es beschäftigt mich seit dem Beginn meiner Tango-Laufbahn intensiv. Wir verwenden es meist wenn wir meinen, jemand sollte sich mit einer Situation abfinden, z. B. nach einer Trennung den Ex-Partner "loslassen". Dann werden Augen gerollt und bedeutungsvoll geschaut. Aber so recht wissen wir gar nicht wie das geht, das Loslassen. Wir wissen viel besser wie das "haben wollen" funktioniert. Liegt vielleicht auch in unserer Natur.
These words "letting go"seem so unpretentious but have been keeping me busy since the beginning of my tango-career. In our every day life, we use them when we want somebody to accept a situation, i. e. letting go of the ex-partner after a separation, combined with meaningfull glances. But actually we don't really know how that works, "letting go". We know much more about "wanting to have" - maybe that is more in our nature.
Im Tango Argentino lernen wir viel über dieses Loslassen, und das auf zwei Ebenen. Mein Tangolehrer redet von der ersten Stunde vom Loslassen, davon, die Beine loszulassen, unseren Körper, damit wir fest und tief im Boden stehen und das nicht belastete Bein entspannt am Boden hängt. Loslassen nicht als Fallen lassen, zusammen sacken, sich aufgeben, sondern Loslassen als Gegenpol zum zu verkopften Wollen, übergroßer Spannung, dem so oft korrigierten "Hochziehen". Wie lasse ich meine Beine los, so dass sie entspannt über den Boden gleiten, der Gravität folgen, dem Körper folgen aber nicht willentlich gehoben und gesetzt werden? Nachdem ich mich lange auf die Beine konzentriert habe, habe ich festgestellt, dass das Loslassen der Beine zwischen Bauch und Hüfte beginnt. Mit einer aufrechten Haltung, entspannten Schultern und etwas geöffneter Brust wird der Bauch ein wenig angespannt, gerade genug um dies zu spüren. Lässt man jetzt alles darunter los, trennt sich wie bei der Torsion (siehe Blogeintrag "Twice Dissociated") der Körper in einen ruhigen, aufgerichteten Oberkörper und einem scheinbar davon getrennten, schweren, entspannten Unterkörper. Das Loslassen geht hier Hand in Hand mit einer Grundspannung im Körper und ist somit alles Andere als ein sich fallen lassen.
In Tango we learn a lot about "letting go". On two levels. From the first lessen on, my tango teacher tells me to let go my legs, my body as to be rooted deeply in the floor with one leg carrying my weight and a loose and relaxed leg, hanging and floating on the floor. This letting go is not dropping or falling, but the opposite pole of too much wanting, too much tension, a tense pulling up of the body. So how do I let my legs go, so that they can float relaxed over the floor, following gravity and the movement of my torso, but not being lifted or posed? Quite a while I concentrated on my legs to achieve this but have now learned that letting go starts further up. Somewhere between stomach and hips. With an upright pose, relaxed shoulders and arms, slightly opened chest and a minimum of tension in the stomach, just enough to feel it, everything underneath unhinges (see my post "Twice Dissociated"). Letting go my legs starts exactly here and goes hand in hand with a basic natural tension of the body.
Die zweite Ebene, auf der sich beim Tango das Loslassen übt ist auf der des Wollens, meines Kopfes. Ich will schnell und gut Tango lernen, ich will Schritte und Anweisungen schnell umsetzen, ich will die Haltung perfekt können, ich will keine Fehler machen, ich will neue Figuren lernen, mehr lernen, ich will... und schwupp ist alle Lockerheit aus mir verschwunden, ich bin verspannt, hoch gezogen und unflexibel. Natürlich braucht ein Lernprozess einen Willen, der einen anschiebt. Aber damit Erlerntes tiefer in das System eindringt, braucht es Entspannung, es braucht das Loslassen. Das haben Neurowissenschaftler mittlerweile bewiesen. Also: tief ein- und in den Boden ausatmen, die Schultern wieder locker lassen, lachen und den Kopf Kopf sein lassen. Wie viel größer ist anschließend der Genuss des Tanzens!
The second level of "letting go" happens in my head. I want to become a good tango dancer, I want to learn the pose perfectly, want to learn the steps, perform my teachers instructions, I don't want to make mistakes, want to learn new figures, learn more, I want to... and bingo - all looseness has disappeared, I am tense, pulled up an inflexible. Certainly, every learning process needs a strong will to motivate. But to have things we learn enter deeper into your system and to stay there, we have to relax, to let go. This has even been proven by neuroscientists, trying to understand the process of learning. Therefore: breathe in deeply and out into the floor, let my shoulders relax, laugh and ignore all the wanting of my head, let go! How much more pleasure dancing thereafter!