Learning to walk is a lifelong challenge in tango |
Gut zwei Jahre sind vergangen seit meinem Blog-Eintrag "Gehen lernen", und noch immer arbeite ich fast täglich genau daran: am Gehen lernen. Desto tiefer ich einsteige, desto komplexer erscheint mir dieses einfache Thema. Und ich verstehe immer mehr die Aussage manche Lehrer, man müsse sein ganzen Tango-Leben lang Gehen üben.
Was macht es denn so kompliziert?
Winzige Details machen einen RIESIGEN Unterschied. Alles was im Bereich der Füße, bei der Bewegung des Gehens passiert, spielt in die gesamte Haltung, in jede Bewegung hinein. Und nicht nur in die eigene, sondern auch in die Bewegung und die Wahrnehmung des Tanzpartners.
Hier sind meine liebsten Steckenpferde:
Wie und wo ich eine Bewegung beginne.
Passiert das im Knie und bewege ich erst nur den unteren Teil des Beines, oder passiert die erste Muskelbewegung im Oberschenkel und wird somit das ganze Bein bewegt?
Wie ich den Fuß bewege.
Ob bei der Bewegung nach hinten, zur Seite oder nach vorne - bleibt der Kontakt zum Boden bestehen? Strecke ich den Fuß in einer geraden Linie aus?
Wie ich die Füße aufsetze.
Es macht einen riesigen Unterschied, ob ich mehr im Innenbereich der Ballen aufsetze oder ob ich über die äußeren Zehen aufsetze. Das Aufsetzen und Abrollen über die äußeren Zehen entfernt mich von der gedachten Mittelachse zwischen beiden Füßen und löst im Oberkörper und damit in der Umarmung Störungen aus, ich bewege mich weg von der Mittellinie.
Das Abrollen beim Rückwärts-Laufen erfordert überraschend viel Muskeln. Das Gewicht wird zunächst vom Ballen aufgefangen und nur langsam Richtung Ferse weiter geleitet, ohne das diese allerdings den Boden berührt. Das braucht Muskelkraft! Ohne entsprechend weiches Abrollen und die Muskeln, die dafür nötig sind, landet das Gewicht bei der Verlagerung plumpsend auf den Fersen, was man in der Umarmung als Erschütterung fühlt. Unschön. Ich musste dafür richtig Muskeln im Fuß trainieren.
Wo mein Gewicht bis zur Verlagerung bleibt.
Die Versuchung ist groß, schon mit dem sich ausstreckenden Fuß das Gewicht zu verlagern. Das verhindert allerdings dass ich erfassen kann, wie weit dieser Schritt von meinem Partner eigentlich geführt wird, und zum anderen verbaue ich meinem Partner die Möglichkeit, den Schritt auch wieder zurück zu nehmen, ihn an eine andere Stelle zu platzieren oder sonst welche Spielereien zu machen.
Wie ich mein Gewicht verlagere.
Hui, das ist ein großes Thema, das auch immer spannend bleibt. Man würde meinen, man streckt das Bein aus und verlagert einfach das Gewicht darauf. Okay. Aber wann genau? Wie lange bleibt man auf dem Ursprungsbein, wann kommt der Impuls zum Verlagern? Wie erreiche ich, dass ich nicht mitten in der Bewegung fest stecke, mein Gewicht also nicht klar auf meinem ausgestreckten Fuß ankommt? Da ist eine ganz besondere Dynamik drin, die ich immer wieder bei guten Tänzern bewundere. Ein geschmeidiges, dynamisches Verlagern, bei dem ganz klar ist, wo der Anfangspunkt und wo der Endpunkt ist. Eine dynamische aber perfekt kontrollierte Bewegung. Strecke ich das sich ausstreckende Bein zu sehr durch, kann ich auf dem Bein nicht landen. Mache ich es zu weich, spürt mein Partner das Ankommen nicht. Wie schwer ich im Boden stehe macht einen großen Unterschied aus. Und wie ich mich von meinem Startpunkt abstoße. Das ist eine kleine, perfekte Dosis, denn sie soll nicht übers Ziel hinaus schießen, aber zum klaren Landen reichen. Von Terpsichoral Tangoaddict habe ich ein wunderbares Bild mitbekommen, welches mir hier sehr hilft: Stell Dir vor, Du stehst auf einem Rollband und gehst in großen Schritten rückwärts, stößt Dich dabei immer ein wenig vom Rollband ab, um die Vorwärtsbewegung des Bandes auszugleichen. Jeder hat seine Bilder, aber dieses hat für mich Wunder bewirkt! Da ist genau die richtige Menge Gewicht und Konzentration auf dem Startpunkt und Dynamik für die Verlagerung drin.
Was mit meinen Knien passiert.
Berühren sich die Knie kurz beim an einander vorbei ziehen? Ich stelle mir machmal vor, es sind zwei Magneten, die sich anziehen, in der Bewegung kurz zusammen haften bevor sie wieder auseinander gezogen werden.
Wie viel im Auto-Pilot-Systhem abläuft.
Ist jeder neue Schritt so jungfräulich als wäre er der erste? Oder läuft eine Folge von Bewegungen ab, die der Führende nur mit großer Mühe bei Bedarf anhalten kann?
Das Thema ist unerschöpflich. So wird bestimmt irgendwann ein dritter Post zu diesem Thema folgen. Ich übe Gehen fast täglich, habe zum Glück einen langen Flur, auf dem eine Weile ein Klebestreifen die Mittelinie markierte. Ein Spiegel an der Stirnseite hilft mir, meine Bewegung zu kontrollieren. Pendelt mein Oberkörper muss ich an den oben genannten Punkten justieren. Taucht mein Körper immer wieder in den Schritt ein, bleibt also im Spiegel nicht konstant in einer Höhe, muss ich justieren. Manchmal übe ich sehr langsam und kontrolliert, manchmal mit Musik und der entsprechenden Dynamik.
Ein ganz anderes Paar Schuhe ist es, wenn ich dann mit einem Partner zusammen gehe. Jetzt kommt zur eigenen Bewegung die Umarmung und der Führungsimpuls dazu. Ich glaube, die meisten Führenden können sich gar nicht vorstellen, wie wunderbar es ist, einfach nur eine Weile durch den Raum in schönen, dynamischen, großen Schritten geführt zu werden und zu spüren, dass die Feinjustierung im Paar anfängt zu funktionieren (bei entsprechender Leere auf der Tanzfläche!). In ganz, ganz, ganz, ganz glücklichen Momenten spüre ich die Energie meines Partners, wie sie durch seine Brust über und durch meinen Körper bis in die Fußspitze des ausgestreckten Beines fließt und diese genau an einer ganz bestimmten Stelle platziert. Dann weiß ich, dass sich das ständige Üben gelohnt hat.
Es freut mich sehr, dass mein Bild dir da geholfen hat! Das Rückwärtslaufen ist für mich ein Thema, an dem ich immer wieder arbeite und bastele. Mehrmals im Laufe meines Tangolebens habe ich meine Methoden und Sichtpunkte da gründlich geändert und die Technik, die ich übe, entsprechend auch geändert (meistens aufgrund der Vorschläge guter Lehrer). Bin immer noch nicht vollkommen zufrieden oder sicher, daß ich da die optimale Methode gefunden habe, die Effizienz und Ästhetik kombiniert. Das Wunder ist das es doch beim eigentlich Tanzen gut funktioniert und daß frau, in den Armen eines guten Partners, das Gefühl hat, zu gleiten und zu fliegen.
AntwortenLöschenLiebe Terpsi - das ist beruhigend, dass auch eine sehr erfahrende Tänzerin immer wieder ihr System neu erfindet! Ich freue mich auf noch viele Umbauten! Und spannend, diese Relation zwischen Effizienz und Ästhetik, die Du ansprichst. Da triffst Du einen wichtigen Kern! Viele Grüße!
LöschenGehen - a neverending story...
AntwortenLöschenFussmuskeln kann man mit einer einfachen Übung aus dem Ballett trainieren, den sogenannten Tendus: Man steht mit geschlossenen Beinen, Füsse entweder parallel oder Fussspitzen ausgedreht (ich bevorzuge letzteres). Gewicht auf beiden Beinen gleichmässig. Um zu beginnen verlagert man das Gewicht auf das Standbein und führt das Spielbein in einer gerade Linie langsam nach vorn, seitwärts oder hinten bis der Spielfuss nur noch mit der Zehenspitze den Boden berührt. Bei dieser Bewegung drückt man den Spielfuss mit den Teilen, die noch den Boden berühren, fest gegen den Boden. Das Ganze macht man am einfachsten auf Socken, falls keine Ballettschläppchen oder ähnliche Schuhe mit flacher, völlig flexibler und gleitender Sohle verfügbar sind. Gibt überrraschend viel Muskelkater im Fuss. :-)
Danke für diese Übung, TwoToTango! Freue mich über neue Anregungen. Ich mache eine ähnliche Übung und tatsächlich immer auf Strumpffüßen. Dazu noch diese Übung von Miles Tangos: https://www.youtube.com/watch?v=wBfoVR0Ng44. Viele Grüße, Toscabelle
LöschenDas mit den Knien, gab es Film Tango Assassin's Tango ein Bild, vom Halten einer Münze zwischen den Knien. Fand ich gut damit kommst du automatisch auf den grossen Zeh, der Kleine Zeh hat keine Kraft man fällt seitlich leicht weg
AntwortenLöschenGruss Bernd
Himmel, Bernd, das ist bestimmt anstrengend! Wird ausprobiert! LG, Toscabelle
LöschenNa wie war das Ergebnis ?
Löschengruesse Bernd
Bernd, das Ergebnis war zwiegespalten. Einerseits zwingt es einen tatsächlich auf die Mittelachse, das Gewicht ist eindeutig auf der Innenseite des Fußes. Es ist aber auch sehr anstrengend und ich habe die Münze ständig verloren, weil ich sehr muskulöse Beine habe mit kräftigen Wadenmuskeln, die eine geschmeidige Bewegung MIT Münze fast unmöglich machen. Im Stand war es also für mich eine sehr gute Übung und das Gefühl, die Knie zusammen zu drücken macht auch ohne Münze einen großen Unterschied. Übrig bleiben soll ja keine total angestrengte Haltung, sondern eine Neigung, die Knie beisammen zu lassen. Hast Du es selber auch mal probiert???
LöschenViele Grüße, Toscabelle
Nuja, sagt ja keiner wie breit die Münze ist :) ich denke die idee dabei ist auf der stabilen Innenseite des Fusses zu bleiben und es vermeidet das breitbeiige Gehen in Tango
LöschenGruesse Bernd
Bin zufällig auf diese Seite gestoßen, weil mich das Thema Gehen schon immer interessiert hat. (Ballengang, Barfußlaufen, Tango-Gang)
AntwortenLöschenEs gibt ein Tango-System.Dinzel. Diese System beschreibt genau die Ästhetik und Mechanik des Tango-Gehens: Gehen erfolgt zweispurig mit parallel geführten Füßen, die auch leicht ausgedreht sein können. Ein Vorwärtsschritt erfolgt so: Streckung des Beins (Projektion), Vordere Außenkante des Fußes aufsetzen, dann auf den gro0en Zeh drehen und zurück auf den Ballen (alles ohne Gewicht). Nun erfolgt vom Ballen auf die Fußsohle die Gewichtsübernahme. Beim Stecken des hinteren Beines kommt der Fuß wieder leicht auf den Ballen, um drehfreudig zu bleiben. Die Biomechanik ist kompliziert und enthält noch weitere Elemente, die ich hier nicht beschreiben kann. Es läßt sich aber lernen. Auch wie man lernen kann, vermittelt das System. Dinzel sagte ein Mal: Auch ohne das System kann man eventuell gut tanzen, aber es hilft, um gut tanzen zu können. Wichtig beim Tanzen sind nicht die vielen Figuren, sondern die Art und Weise wie man tanzt. Tango ist dann pure Improvisation.
Liebe Grüße LOBO
Liebe Toscabelle,
AntwortenLöschenhier schreibt mal ein Fersengänger... :)
Ich finde es wichtig, daß beim Vorwärtsgehen die Fußdämpfung durch die Kniedämpfung ergänzt wird. Die Fußdämpfung macht die Feinarbeit, die Kniedämpfung ist fürs Gröbere. Wer ohne Kniedämpfung (also zu steifbeinig) geht, riskiert tatsächlich, daß der Bodenaufprall zu hart durchschlägt. Das muß aber nicht sein. Fuß- und Kniedämpfung zusammen (eben das natürliche Gehen) ergibt einen wunderbar weichen Fersengang, der aber immer noch fest genug ist für klare Impulse.
Außerdem darf man nicht übersehen, daß das Gehen Vorwärts und Rückwärts zwei völlig verschiedene Dinge sind. Man darf nicht gleichzeitig über beides sprechen, sonst kommt man völlig durcheinander.
Was in deinem Blog meiner Ansicht nach noch fehlt, ist die Beckenrotation. Das Becken unterstützt den Schritt (vorwärts wie rückwärts) durch eine kleine, aber fühlbare horizontale Drehung (bzw. Schwingung), die den Schritt jeweils ein winziges Stück verlängert. Setzt man diese "Öffnung" des Beckens beim Rückwärtsschritt bewußt ein, so dreht automatisch der Spielfuß nach außen (Außenrotation). Der Schritt wird sehr lang dadurch, bzw. anders gesagt, er wird "mit weniger Anstrengung lang genug". Dann MUSS allerdings der Fuß aus der Außenrotation zurückgeführt werden in eine Stellung, die annähernd parallel der Gangrichtung ist. D.h., die Frau senkt ihre Ferse über einem drehenden Ballen zu Boden. Was Muskelarbeit bedeutet.
Ich würde dieses Muster allerdings nicht immer, sondern nur bei sehr langen Schritten einsetzen, sozusagen als elegante Notreserve, falls es sonst eng wird.
Was ich damit sagen will: auch die Rotation der Beinachsen spielt eine Rolle beim Gehen, die nicht vernachlässigt werden darf.
Danke für deinen schönen Blog!
Liebe Grüße,
michel
Lieber Michel, ich danke für Deine Gedanken! Zunächst rede ich hier hauptsächlich vom Gehen der "Folgenden", denn das liegt am ehesten im meinem Erfahrungshorizont. Dennoch betrifft vieles auch das Gehen der Führenden, wie mir von anderen Führenden und Lehrern gesagt wurde.
LöschenZum ersten Punkt: Natürlich ist ein Federn im Knie essentiell, für Ballen- wie Fersengang! Eigentlich für jedes Gehen, wenn wir unseren Rücken nicht übermäßig belasten wollen. Die Vorwärtsschritte des Führenden sind ein Kapitel für sich. Ich fühle mich mit meinen wenigen Unterrichtsstunden als Führende nicht dazu berufen, darüber zu schreiben.
Zum zweiten Punkt, das Öffnen des Beckens. Hierzu habe ich sehr unterschiedliche Meinungen gehört und es unterschiedlich umgesetzt gesehen. Persönlich finde ich ein leichtes öffnen des Beckens am schönsten. Es bringt die gewünschte Schritt-Verlängerung und schafft eine schöne Linie. Dennoch ist es nicht Mittel zum Zweck und muss zur Musik, zum Tag, zum Tänzer und überhaupt passen. Aber über diese Öffnung des Beckens habe ich noch nicht geschrieben, denn sie geht meiner Meinung nach Hand in Hand mit der Gegenrotation des Oberkörpers beim Gehen, die manchmal völlig außer acht gelassen wird. Vielleicht wäre das mal wieder einen Post wert! Danke für den Anstoß!
Viele Grüße!