Ein paar Skizzen aus meinem Notizbuch |
Am letzten Wochenende habe ich zwei Menschen erlebt, deren Herzen für den Tango Argentino praktisch glühen. Das spürt man vom ersten Moment an. Und sie haben eine Botschaft, die sie bedacht und sorgsam, aber ohne jede Zweideutigkeit kommunizieren. Beides ist eine Wohltat: Ihr Feuer zu spüren, sich anstecken zu lassen und auch ihre klare Position zu hören und auf sich wirken zu lassen. Diese Position ist keine kommerzielle, sie ecken sicher an, so wie sie es auch am Wochenende vereinzelt taten, aber es ist eine mutige, die wohltuend klar ist und nur dadurch Dinge anstossen kann. Was war das nun für ein Feuer? Ein zweitätiges Seminar von Monika Diaz und Christian Tobler aus der fernen Schweiz hier bei uns im hanseatischen Norden. An dieser Stelle einen Dank an den Tango-Bekannten, der mich mit der Nase auf dieses Wochenende stieß und an die Tanzschule, die mutig genug war, dieses Seminar zu veranstalten.
Vielleicht ist es vergleichbar mit dem Blick auf das azurblaue Mittelmeer. Der Blick ist schön, weckt Sehnsüchte nach Urlaub, Freiheit, Weite. So war mein Blick auf den Tango bisher. Wer aber schon mal die spiegelnde Oberfläche des Meeres durchbrochen hat und schnorchelnd oder tauchend unter sie geschaut hat, kennt das Gefühl des unendlichen Staunens ob dieser bisher ungesehen fantastischen Welt, die den überaus lebendigen Unterbau für die blau schimmernde Oberfläche bildet. Man könnte diskutieren, was für einen das Meer ist - die Oberfläche oder das riesige Universum darunter. Oder beides? Das Universum unter der Oberfläche des Tangos habe ich durch Monika und Christian kennen gelernt und werde sicher immer wieder hinein tauchen. Denn es hat mein Verständnis und mein Empfinden des Tangos deutlich verändert.
In einem beachtlichen jedoch nie langweiligen Marathon haben beide Dozenten einen liebevollen und klaren Überblick über die wichtigsten Orchester der Epoca de Oro des Tangos in Buenos Aires vermittelt, mitsamt Anekdoten, Klang- und Tanzbeispielen. Wer wollte, konnte jeweils sofort die gespielte Musik in Tanzschritte umsetzen. Ich habe es vorgezogen, zuzuhören, vielleicht auch weil ich keinen Tanzpartner dabei hatte und weil ich mich nach einem Jahr Tango-Unterricht noch nicht in der Lage fühle, mein Empfinden umzusetzen. Aber auch nur zuhöhrend und in sich hinein spürend entstand ein immer bunteres und vielfältigeres Bild dieser Musik.
Unter diese mangels Zeit knapp gehaltenen Orchester Portraits (man merkte es den Dozenten an, dass sie über jedes Orchester am liebsten einen ganzen Tag erzählt hätten) wurden zwei andere Einheiten gemischt: eine mit Hintergrundinformationen zu den spielerischen und technischen Voraussetzungen der heute kursierenden Aufnahmen und eine mit einer praktischen Anleitung zur Umsetzung von musikalischen Phrasen. Die technischen Voraussetzungen waren vielleicht etwas trockener, aber nicht weniger spannend. So genau hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht über die Bedingungen unter denen die Aufnahmen entstanden und meine Bewunderung wuchs von Minute zu Minute. Abgeschlossen wurde dieser Abschnitt mit einem flammenden Plädoyer für mehr Sensibilität und bessere Wiedergabemöglichkeiten dieser schönen Musik auf Milongas. Ich gehe hier mit ganzem Herzen mit. So manches mal fühle ich fast körperliches Unbehagen, wenn mir die Musik während einer Milonga in den Ohren klirrt oder die Bässe schwammig verdumpfen. Ich bin überzeugt, dass klangliche Veränderungen das Tanzvergnügen deutlich steigern würden. Hierzu gibt es ausführliche Beiträge und Diskussionen unter Cassiels Blog. Beeindruckend war schon allein die kleine improvisierte Reise-Anlage der Dozenten, die mitten in den Raum positioniert wurde und eine wunderbare Klangqualität bot (natürlich Hand in Hand mit optimalen Audio-Daten und einer optimalen Ausgabe).
Beeindruckt hat wohl auch fast alle Teilnehmer eine Gegenüberstellung von Aufnahmen identischer Stück mit einem modernen Ensemble und einer Original-Aufnahme aus der Epoca de Oro. Wir waren aufgefordert auszuprobieren, ob es sich zu dieser oder jener besser tanzen ließe. Das Resultat war frappierend: Alle moderneren Aufnahmen ließen sich deutlich schlechter tanzen. Die Gründe hierfür sich vielfältig, das Resultat aber eindeutig. Die damaligen Musiker wurden daran gemessen, ob ihre Musik tanzbar war. Es war eine sprudelnde, kochende Zeit mit viel Konkurrenz. Wer nicht tanzbar war, wurde nicht gebucht oder gekauft. So waren die Musiker ständig auf der Suche nach dem besseren Ton, dem besseren Groove, dem besonderen Sound. Das alles mit einer Intensität, die heute kaum mehr herzustellen ist. Die Suche nach Perfektion hat Höchstleistungen hervor gebracht. Ein weiterer nicht unerheblicher Aspekt ist die Größe der damaligen und heutigen Ensembles. Heute ist man schon froh, wenn man ein Quartett mit einem Bandoneon buchen kann. Aber was für ein Unterschied zu 4 oder mehr Bandoneons, die zum absolut gleichen Moment ihre Akzente setzen! Und zu 4 Violinen, die auf einer Melodielinie schwelgen...! Wir verstärken heute den Klang um einen größeren Raum zu füllen, da haben wir andere Möglichkeiten und wer würde schon so ein großes Ensemble bezahlen können? Aber kann dieser verstärkte Klang die gleiche Intensität rüber bringen? Mir fiel auch auf, dass den neueren Aufnahmen irgendwie der Drive fehlte. Herausstechende Ausnahme ist das "Solo Tango Orchestra" (kann man 4 Personen schon ein "Orchestra" nennen?), welches sehr viel Drive hat. Leider nur 4 Musiker. Was würde ich dafür geben, so ein großes Tango-Orchestra dieser goldenen Epoche live zu hören! Ist es nicht erstaunlich, dass keiner das bis dato als Marketing-Lücke entdeckt hat? Gibt es keine Sponsoren da draußen, die gerne Tango tanzen und so etwas finanzieren würden? Freiwillige vor!
Die zweite extra-Einheit neben den Orchestra-Portraits fand am zweiten Tag statt: Eine praktische Anleitung zum Umsetzen von musikalischen Phrasen. Ebenfalls sehr beeindruckend, weil sich hier endlich tatsächlich etwas an unserem Tanz veränderte. Nachdem ein ausgewählter Tango ("Araca la Cana" von Fresedo) ganz stressfrei analysiert und in Abschnitte aufgeteilt wurde, hatten wir mindestens 8 Runden, um diesen Tango zu tanzen. Monika steuerte das Ganze, ließ uns zunächst nur grob zwei verschiedenen Stimmungen, passend zu den Abschnitten, tanzen und an den Übergängen anhalten. Das war bei diesem Tango ein markanterer Abschnitt und ein fließenderer. Als wir das einigermaßen gepackt hatten und uns schon für Helden hielten, setzte sie noch einen oben drauf, indem sie unsere Aufmerksamkeit auf die gesamte Ronda lenkte, so dass wir gemeinsam in den markanteren Abschnitten eher auf der Stelle und mit vielen kleineren Schritten tanzten und gemeinsam im elegischen Teil uns vorwärts bewegten. Was für ein irres Gefühl als das klappte! Ich, verbunden mit der Musik, mit meinem Tanzpartner, mit den anderen Tänzern der Ronda... mit dem Universum?! (siehe mein Post "In Balance with me an the Universe). Vielen Dank an meinen offenen, experimentierfreudigen Tanzpartner!
Ein wichtiger Bestandteil dieses Wochenendes war auch die Milonga am Samstag Abend. Die Tanzschule war mutig genug, diese Milonga als "Milonga Milonguero" auszuweisen, also als eine Milonga mit rein klassischer Musik der Epoca de Oro, mit engem und eher kleinem Tanzen (keine fliegenden Beine), mit Aufforderung durch Cabeceo und zu diesem Zwecke auch relativ hellem wenn auch nicht ungemütlichem Licht, mit Respekt für die Ronda, also einer gemeinsamen Tanzlinie, und dadurch mit Respekt für alle anderen Tänzer des Abends. Christian Tobler hat fantastisch Musik aufgelegt und die Stücke jeder Tanda auf eine Leinwand projiziert, so dass man schon vor den ersten Takten der neuen Tanda die Blicke über die leere (Cortina sei dank) Tanzfläche zu dem favorisierten Tänzer für diese Tanda schicken konnte. Ich glaube, alle am Tage besprochenen Tangos waren dabei, man konnte sie wieder erkennen und dank Projektion zuordnen. Das klappte alles wie am Schnürchen mit nur kleinen Ausreißern. Aber auch die sind verständlich, muss so eine Milonga-Kultur ja erst wachsen und reifen. Wie schön wäre es, wenn es regelmäßig solche Milongas gäbe!
Mein persönlicher Höhepunkt war eine Pugliese-Tanda. Ich liebe die Musik von Pugliese sehr, sie findet einen ganz besonderen Wiederklang in mir, lässt mein Herz höher schlagen. Aber ich habe ebenso einen heiden Respekt davor, sie zu tanzen, habe es auch noch nie gewagt. Schon bevor die Tanda begann und ich den Namen Pugliese auf der Leinwand las rutschte ich also in meinem Stuhl gemütlich zurück, um genussvoll zuhören zu können. Da wurde ich aufgefordert, dieses Mal direkt, denn mein Blick war überhaupt nicht auf Kontakt aus. Ich zögerte ein wenig, freute mich aber so auf den Tänzer, den ich schon den ganzen Abend beobachtet hatte, dass ich einwilligte. Und was passierte? Ich stolperte nicht, ganz im Gegenteil, wir haben wirklich diese zauberhafte Musik getanzt so wie ich sie empfinde, und das trotz meiner begrenzten Möglichkeiten. Einen riesigen Dank an meinen Tanzpartner, der mich so auf Wolke 7 hat schwelgen lassen!
Diese Milonga hat das ganze Wochenende abgerundet, so dass ich am späten Sonntag Nachmittag ungemein bereichert wieder nach Hause fuhr. Wir waren in das tiefe facettenreiche Meer des Tangos eingetaucht und werden diese Eindrücke bestimmt nicht wieder vergessen. Einen Dank von ganzem Herzen an Monika Diaz und Christian Tobler.
Ein schöner Bericht über den Workshop und klasse Zeichnungen die zeigen, dass du ein Auge für das Charakteristische hast.
AntwortenLöschenDer Workshop war kurzweilig und sehr inhaltsreich auch wen ich mit etwas anderen Erwartungen anereist war, war ich nicht enttäuscht. Es ist wirklich so, dass einem der Blick auf die Weite und Tiefe der Musik der EdO-Gran Orquestas geöffnet wurde. Besonders gefiel mir die praktische Übung, weil ich durch das wiederholte Tanzen zu einem Stück gezwungen war, tiefer in das Stück hinein zu hören, um jedes Mal etwas neues Interessantes zum Tanzen zu finden (8x gleich wäre sonst langweilig). Sonst neige ich da schon eher mal zu einer gewissen Hörfaulheit auf den Milongas (das Stück kenne ich, da gibt es das und das Element und die tanze ich).
Die Milonga hat mich auch sehr angesprochen auch wenn Hamburg definitiv kein gutes Pflaster für Cabezeo ist. In dem schönes Saal mit der guten Zusammenstellung der Musik und der guten Anlage und der Aufmerksamkeit des TJ, der jedes Dröhnen, Wummern und Zirpen schon im voraus verhinderte war das Tanzen sehr angenehm - nur die Cortinas waren bei der Lautstärke mitunter zu leise.
Zu deiner Frage "Gibt es keine Sponsoren da draußen, die gerne Tango tanzen und so etwas finanzieren würden? Freiwillige vor!": Das wird sehr schwierig - die Gran Orquestas bestanden sämtlich aus exzellenten Musikern, die regelmässig für lange Zeit zusammenspielten und von den Auftritten lebten (und leben konnten). Eine so große Anzahl an Musikern, die heutzutage eher tangobegeisterte Klassik-Musiker sind, die nur in Klassikpausen zusammen kommen, kriegt man kaum oft genug zusammen, dass sich da ein echtes Zusammenspiel entwickeln kann. Und die Gran Orquestas traten als so große Gruppe ja auch wegen der großen Säle mit den vielen Tänzern an. Die Säle sind heute eher kleiner und 100-200 Leute sind schon viel. Da bräuchte man schon einen echt schwerreichen Fanatiker, der die Leute für das Üben und Auftreten sponsorn müsste, von den Eintrittsgeldern bekäme man das nie raus.
Beim Vergleichshören zeigte sich dann dass die modernen Gruppen durchaus auch hochklassige Musiker waren, aber weniger aufeinander eingespielt und vor allem mehr daran interessiert, ihre Interpretation der Musik zu spielen und nicht, die Tänzer zu erreichen. Bei Liveauftritten habe ich aber durchaus schon gemerkt, dass sich da auch ein Dialog zwischen den Musikern und den Tänzern entwickeln kann, dass die Musiker also nicht so selbstbezogen spielen.
Bei dem Vortrag stiessen mir daher einige der abwertenden Äußerungen sauer auf, aber ich kann die ausblenden, mir meine eigene Meinung bilden und die interessanten Details des Vortrags aufnehmen.
Danke für Deinen Kommentar, Eckhard! Natürlich würde sich ein solches Tango Orchester zunächst nicht rechnen. Aber der Vergleich mit dem Palast Orchester war für mich spannend: Als Max Raabe das Ensemble gründete, waren die Schlager der 20er Jahre überhaupt nicht angesagt. Er hat mit seinem klaren Konzept und der Qualität überzeugt. Mittlerweile ist es schon viele Jahre hipp, auch in einer breiteren Bevöllkerungsschicht. So etwas wünsche ich mir. Die Tango-Szene ist nicht klein und eher noch am wachsen. Ein Publikum wäre da. Auf einer normalen Milonga ist sicher kein Raum für ein größeres Orchester (die meisten Räume haben ja auch keine entsprechende Bühne), aber bei Tango-Festivals, derer es beachtlich viele gibt, kommen viel mehr Tango-Tänzer zusammen. Und um etwas ganz besonderes zu bieten, wäre ein großes, gut eingespieltes Orchester der Hammer. Deshalb auch die Notwendigkeit eines großen Sponsors: Das Orchester dürfte kein Muggen-Orchester, sondern ein ständig zusammen spielendes Ensemble sein, welches Lust hat, am Ton und an der Präzision zu schleifen. Weniger am virtuosen Solo-Spiel. Dazu braucht es Zeit und ein festes Engagement. Ich bin überzeugt, dass das fertige Produkt dann überzeugen und sich auf lange Sicht auch rechnen würde. Na ja, träumen ist ja erlaubt...
LöschenPass bloß auf.
LöschenIch sehe schon seit einiger Zeit bei Dir Anzeichen von beginnender schwerer Tangosucht. Wenn man da nicht rechtzeitig etwas unternimmt, dann ist das unheilbar und hat für den Betroffenen unabsehbare Konsequenzen.
Behaupte also später nicht, Du seist nicht gewarnt worden!
Über "beginnend" musste ich schmunzeln. Über "schwer" nicht. Vor was genau willst Du mich warnen??? "Setzt Du nicht Dein Leben ein, so will auch nichts gewonnen sein." wusste schon Goethe, dabei hat der gar nicht Tango getanzt!
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