Es war Samstag. Keine Kinder, keine Verantwortung, so konnte ich mich entspannt und gut gelaunt auf eine Hamburger Milonga begeben. Diese verflixte preussische Pünktlichkeit! Ich stand doch tatsächlich um 21 Uhr auf der Matte, um einen überraschten Veranstalter vorzufinden, der mir dann aber doch mein Eintrittsgeld abnahm. Erste Lektion: stelle Deine innere Uhr neu und komme immer mindestens 1/2 bis 1 Stunde zu spät zu einer Milonga. Schon eine Herausforderung für ein preussisch erzogenes Mädchen.
Nach einer halben Stunde begann sich die Milonga langsam zu füllen. Zu meiner Freude tauchten auch meine Tanzlehrer auf - zumindest eine schöne Tanda mit meinem Tangolehrer war also gesichert. Die Musik war wunderbar, eigentlich perfekt, wären da nicht die etwas überforderten Lautsprecher, die in den Höhen zu klirren begannen und auch im Bassbereich ausbrachen. Das war grade zu Anfang für meine Musikerohren ein wenig anstrengend. Mit der Zeit gewöhnten sich meine Ohren aber daran oder mein Hirn legte den Fokus auf andere Bereiche.
Die Tanda mit meinem Tanzlehrer lief besser als das letzte Mal, hatte ich mich nun schon ein wenig an die enge Umarmung gewöhnt. Im Unterricht tanzen wir immer in der offenen Umarmung. So kann ich mehr bei mir bleiben, meine Ballance finden, die Bewegungen sauber ausführen. Aber eine offene und eine enge Umarmung fühlen sich anders an, die Körperballance muss ich erst anpassen und das braucht halt ein wenig. Drei weitere Tandas durfte ich tanzen, mit sehr unterschiedlichen Tänzern. Eine Frau führte mich sehr angenehm und ließ mir Raum, mich zu fühlen, mit ihr hätte ich gerne noch weitere Tandas getanzt. Ein etwas großer Herr forderte mich ausgerechnet zu einer Milonga auf - die habe ich noch viel zu wenig getanzt und fühle mich vom Tempo noch überfordert. Aber beglückt, wieder tanzen zu können, lehnte ich nicht ab. Er hatte ja schon gesehen, dass ich Anfängerin bin und führte mich wohl demzufolge so eng und mit festem Griff im Rücken, dass ich kaum mehr richtig selber stehen konnte. Wie soll man da eine Ballance halten oder gar Schritte setzen? Die Folge waren polierte Schuhspitzen bei mir. Wie gut, dass ich keine offenen Schuhe trug! An den Milongas muss ich dringend noch arbeiten. Lektion zwei: höflich um etwas mehr Raum bitten, wenn ich nicht mehr sicher stehe. Dennoch hatte ich bei der Tanda viel Spaß, denn Milongas gefallen mir gar sehr.
Gegen 1 Uhr bin ich nach Hause gefahren und war zum Einen ganz zufrieden mit dem Resultat (immerhin 4 Tandas, eine davon mit dem besten Tänzer im Saal, meinem Tanzlehrer), zum anderen entmutigt bei dem langen Weg der mir noch bevor steht, bevor ich mich sicher auf einer Milonga bewegen kann, so dass ich mich wohl fühle.
Generell schwirren seit dem Abend ein paar Fragen und Gedanken in meinem Kopf herum:
Ich konnte sehr viele sehr verschieden Führungsstile beobachten. Bei einigen war ich froh, nicht in Versuchung zu kommen, mit den Tänzern zu tanzen, denn ich konnte ihnen schon beim Zuschauen nicht richtig folgen. Und wie schafft man es als Frau (und vice versa als Mann), sich in rasendem Tempo auf den Führungsstil, also den Charakter des Tanzpartners einzustellen? Okay, man beobachtet vorher ein wenig. Aber wie es sich anfühlt ist dann ja noch mal ein ganz anderes Paar Schuhe. Ich würde mir besonders als Anfängerin wünschen, etwas Zeit zu bekommen, bei ganz einfachen Schritten, beim Gehen, mich auf den Tänzer, die Haltung, die Nähe einzufühlen, bevor es ans Eingemachte geht. Das würde meinen eigenen Genuss deutlich erhöhen. Und damit doch sicher auch den des Partners, oder?
Zum Anderen beschäftigt mich die Diskrepanz zwischen meinem innen Gefühl für Tango, welches auf sehr feiner Abstimmung beruht, viel mit Erdung und manchmal sogar mit Flow zu tun hat, und dem auf Milongas erlebten Tango, bei dem viel extrovertierter getanzt wird, auch auf die Gefahr hin, dass eine Tänzerin mal ein wenig die Bodenhaftung verliert. Da fliegen Beine, gibt es Showeinlagen, profilieren sich Tänzer, ohne den Fokus auf ihren Tanz-Partnerinnen zu haben. Hatte ich nicht irgendwo mal gelesen, ein guter Tänzer sein der, der die Frau mit schönen Schritten zum leuchten bringt? Ich habe an diesem Abend zwei Paare gesehen, vielleicht drei, die so tanzten. Eines davon waren meine Tanzlehrer. Wie schön!
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