Is tango easy or terribly hard? A graphic artist goes on an adventurous trip into the world of
the tango - discovering, laughing, struggling,despairing, learning. Can I tango? Maybe!

Sonntag, 27. Januar 2013

Gehen lernen?




Zu Beginn jeder Tango-Stunde lässt mein Lehrer mich GEHEN. Er behauptet, für das Tango Tanzen muss man GEHEN lernen – das ist sozusagen die wichtigste Grundzutat, ohne der keine Figur, keine Schritte zu einem wirklichen Tango werden. Von vielen Jahren ist die Rede, die man braucht, um das zu lernen und mein Herz sinkt mir in die Kniekehlen. Warum um Himmels willen muss ich neu GEHEN lernen - bin doch bisher ganz wacker durch mein Leben gegangen!

Aber da ich ja nun mit dem Tango-Fieber infiziert bin, versuche ich, auch zwischen den Stunden wann immer möglich die Bewegungen zu üben. Und was ist nahe liegender, als eben auf das GEHEN zu achten? Ich gehe also anders durch die Welt, achte auf dem Weg zum Supermarkt, beim Spazieren gehen auf den neu gelernten Gang und bin beeindruckt vom Resultat - mein Gang und mein Körpergefühl verändert sich. Ich gehe aufrechter, etwas mehr nach vorne ausgerichtet, mit einer viel weicheren Hüftbewegung und fühle mich ausgesprochen wohl dabei.

Nur langsam beginne ich zu begreifen, warum das so ausgiebig geübt wird.

Da ist die erste Ebene: Beim "normalen" GEHEN setzen wir die Füße etwas schräg auseinander, nie parallel oder gar ein Fuß vor dem anderen. Beim Tanzen brauchen wir einen solchen parallelen schmalen Schritt, um nicht wie angetüdelt von rechts nach links zu schwanken. Wir versuchen also, die Schritte parallel auf einer gedachten Linie zu setzen. Das ist ungewohnt und braucht Übung. Soweit so gut.

Aber nun kommt noch eine zweite Ebene hinzu: wir versuchen, die Füße nicht mit dem Hacken zuerst aufzusetzen, sondern recht flach mit den Ballen zuerst. Es mutet ein wenig wie Schleichen an. Die meisten Menschen in unserem westlichen Kulturkreis setzen beim Gehen zunächst den Hacken auf und rollen dann mit dem restlichen Fuß ab. Beim Tango-Tanzen haben wir allerdings fast ständig 90% unseres Gewichtes auf den Ballen. Das macht uns flexibel und wendig, offen für jede neue Bewegung, für jeden Impuls. Gleichzeitig viel stabiler.

Beim Durchforsten des Netzes bin ich über den Begriff BALLENGANG gestolpert. Forscher haben beobachtet, dass generell Kinder oder aber Menschen, die viel barfuß gehen, beim GEHEN zunächst den Ballen des Fußes aufsetzen und erst dann zur Ferse abrollen. Dies ergibt einen weichen Gang ohne viel Erschütterungen. Mit dem Tragen von Schuhen verändert sich der Gang - es wird zuerst die Ferse aufgesetzt und dann über den restlichen Fuß abgerollt. Laut den Forschern führt die starke Erschütterung beim Aufsetzen der Ferse zu Haltungsproblemen, da die Kraft des Aufsetzens direkt und ungefedert an die Gelenke bis zur Wirbelsäule weiter gegeben wird und dort Schäden verursachen kann. Beim Ballengang hingegen wird die Kraft abgefedert. Anscheinend ist das der "natürlichere" Gang, der zu einer aufrechteren, dynamischeren und selbstbewussteren Haltung führen soll. Hier kann noch mehr über den Ballengang nachgelesen werden: http://ballengang.npage.de/ und hier ist ein Film, der die beiden Gangarten demonstriert:



Zurück zum Tango. Beim GEHEN LERNEN für den Tango lernen wir also eigentlich eine natürliche, leider verlernte Art und Weise zu GEHEN, die uns aufrechter und mit besserem Gefühl für den Körper-Mittelpunkt bewegen lässt. Dabei wird nur vordergründig die Art und Weise zu GEHEN verändert, viel wichtiger ist das Körpergefühl, welches so nachhaltig verändert wird und überhaupt erst den Grundstock für das Tango-Tanzen legt.

Auch wenn es also 10 Jahre dauert, bis ich richtig GEHEN kann, jeder Schritt lohnt sich und verändert mein Körpergefühl und die Selbstsicherheit in meinen Bewegungen. Ich tanze weiter heimlich Tango auf dem Weg zum Supermarkt...



15 Kommentare:

  1. Ich kann das von Dir Recherchierte und Erfahrene bestätigen: seitdem ich den Ballengang praktiziere, macht mein (durch eine leichte Arthrose beeinträchitgtes) Knie auch 6-Stunden-Milongas klaglos mit. Ausserdem sieht der Ballengang ja auch viel schöner aus. Und: er macht die Schritte länger: wenn das Bein gestreckt mit dem Ballen auf dem Boden, jedoch ohne Gewicht aufgesetzt ist, wird der Schritt durch Verschieben des Schwerpunkts in der Hüfte und daraus resultierendem (finalen) Verlagern des Gewichts noch mal um ca. eine halbe Fußlänge länger.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

      Löschen
    2. Ich habe von verschiedenen Vorgehensweisen gehört: zum einen gibt es die Tanzlehrer(innen) [die Klammer lass ich in der Folge weg], die Anfänger über ein halbes Jahr oder länger nur mit Gehen quälen. Die Konsequenz, die viele Schüler (verständlicherweise) ziehen, ist: Sie verlieren das Interesse am TA oder wechseln zu einem Lehrer, der ggfs. mit 'interessanten' Figuren lockt. Oder es gibt die Lehrer, die die Schüler gleich mit Ganchos und Boleos konfrontieren, deren Ausübung dann bei den Newbies ziemlich verboten aussieht. Meine Tanzlehrerin verfolgt einen kombinierten Ansatz. Nach dem Eintanzen entscheidet sie sich meist für ein technisches Thema oder dessen Wiederholung wie z.B. eben Gehen, oft kombiniert z.B. mit und in der Molinette. Oft sind diese rein technischen Übungen auch die Vorbereitung für eine Schrittfolge (Figur), auf die dann später eingegangen wird, und die nicht zufriedenstellend ausgeführt werden kann, ohne die Beherrschung der technischen Übungen.

      Zur Wichtigkeit dieser technischen Fertigkeiten (Gehen, Achse, Molinette im Gegensatz zu Figurenfertigkeiten) ist mir aufgefallen: Wenn ich mit einer Frau tanze, mit der ich noch nicht getanzt habe, und ich bemerke, sie kennt wenige Figuren, fällt jedoch nicht in den Schritt und tanzt die Molinette schön und leicht, dann macht alles andere auch Spaß mit ihr. Wenn der Schritt leicht und flexibel ist, Fähigkeit zur Torsion und Dissoziation vorhanden ist und die Achse nicht ständig verloren geht, dann ist alles gut und der Tanz ein Genuß.

      Löschen
    3. Vielen Dank wieder einmal für Deine Gedanken. Sie bestätigen mich darin, hervorragende Lehrer gefunden zu haben. Also weiter, Schritt für Schritt!
      Marion

      Löschen
    4. Hallo,
      ich schätze Deine Lehrer als Tänzer sehr (besonders natürlich die Lehrerin ;-), mit der ich gelegentlich tanzen darf), aber viele Wege führen nach Rom.

      Das Laufen über den Ballen mag eleganter aussehen, wirkt allerdings auch etwas seltsam gekünstelt.

      Das Abfedern über den Ballen kann nicht der Grund sein unbedingt über den Ballen zu gehen.
      Denn es ist meiner Meinung nach egal, wo man die Schritte letztendlich abfedert und ich halte das Abrollen über Ferse und Knie für die viel weichere Variante als über den Ballen.
      Ich habe z.B. Knie und Beckengelenke, die auftretende Erschütterungen wunderbar abfedern können und über eine Ferse kann man wunderbar abrollen.
      (Vorausgesetzt, dass der Absatz des Schuhs nicht zu eckig und kantig ist.)

      Ich packe mal einen Link rein (hoffe das das klappt) Laufen lernen Teil 2

      Ansonsten schätze ich die Art und Weise sehr, wie Carlitos (und Hoelia) sich bewegt, so ganz ohne Ballengang.

      Löschen
    5. Hallo Klaus! Danke für Deine Rückmeldung und für den Link, den ich mit großem Interesse gelesen habe. Ich denke, wie so oft im Leben liegt der Weg irgendwo in der Mitte. Durch meine Auseinandersetzung mit dem Gehen erlebe ich diesen so alltäglichen Prozess viel bewusster und auch mein Gang hat sich verändert. Ich trete weicher auf, rolle besser ab, bin generell weicher in den Knien und genieße ganz einfach das Gehen viel mehr. Schaut man seinen Geh-Gefährten auf der Straße zu, fällt auf, dass da viele Probleme schlummern. Und dass das Gehen meist ein notwendiges Übel zu sein scheint. Ich bin sehr froh darüber, durch das Tango-Tanzen ein wenig wacher und bewusster zu gehen. Und ja - Tango-Tanzen sollte eine natürliche Bewegung sein und bleiben, insofern muss eh jeder den richtigen Gang für sich finden. Ich habe Tänzer gesehen, die sehr natürlich im Ballengang tanzen, andere, die ganz weich mit der Ferse auftreten. Deine im Nebensatz hervorgehobene Voraussetzung eines nicht zu eckigen Absatzes ist da denke ich entscheidend. Ansonsten ausprobieren und genießen!

      Löschen
  2. Hallo toscabelle, dein Artikel ist sehr interessant und bestätigt auch meine Arbeit mit dem "Alltagsgehen."
    Basisarbeit u.a. mit dem Gehen ist sehr wichtig auch für den TA. (Ja, ich bin auch seit einiger Zeit mit Begeisterung dabei und werde deinen Blog hier mal etwas intensiver bearbeiten :) )
    Was das Gehen betrifft habe ich eine eigene Methode entwickelt, die sich aus formloser Kampfkunst, Körpertherapie und Tanz für den Alltag herauskrislallisert hat. Letzten Endes zählt aber nur die Praxis und das Bewusstsein dafür, was der Körper tut und wie es sich mit der entsprechenden Qualität hält.
    Auf meinem Blog www.ballengang.de behandle ich das Gehen aus verschiedenen Blickwinkeln, auch aus Sicht des Tangos. (Vielleicht darf ich etwas von hier zitieren?)

    Viele Grüße, Stefan Heisel



    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Hallo Stefan! Danke für Dein Kommentar. Auf Deiner Seite www.ballengang.de habe ich mich schon ausgiebig umgesehen, sehr informativ und interessant! Fast noch lieber habe ich mich durch Deine l'Accordéon-Seite gelesen und teile Deine Begeisterung für dieses Instrument. Ich spiele eine Knopfakkordeon, ein wunderschönes Borsini und habe noch ein Baby für die Mobilität - ein kleines Pigini. Beides beste Gefährten und Begleiter auch in den düstereren Momenten. Ich wünsche weiter viel Freude als frei denkender Mensch. Gerne kannst Du meinen Blog zitieren.

      Löschen
  3. Hallo toscabelle, das ist ja wirklich interessant. Hast du auch über Akkordeonspielen etwas veröffentlicht? Oder gar einen clip?
    Momentan habe ich das Erlernen des TA vor das Akkordeonspiel (was ich ja schon ewig praktiziere) als HOBBY gestellt, wobei das dem Musizieren an sich keinen Abbruch tut.

    Viel SPaß noch mit beidem und mach weiter so mit deinem blog und v.a. deinen wirklich guten Illustrationen!

    LG Stefan

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Neeee - keine Veröffentlichungen, nur viel Genuss und Freude! Leben lebt sich in Wellen - Du hast grade ne TA Welle, irgendwann kommt vielleicht wieder mehr Akkordeon durch. so wie es klingt ist es eh Teil von Dir. Schön!

      Löschen
  4. Ballengang ist 'ne gute Sache. Vor allem die Haltungsvorteile sind für TA sehr nützlich. Ich habe in den letzten 9 Jahren allerdings sehr oft von argentinischen TA-Lehrern folgende Variante gelehrt bekommen: ein Ballengang bis kurz vor dem Aufsetzen, um dann, im letzten Moment, dann doch mit der Ferse aufzutreten. Sieht man TA-Superstars vortanzen, sehe ich meist eher diese Variante. Sicher ein weites Feld :-)

    AntwortenLöschen
  5. Genau so schaut es aus. Wie letztendlich gelandet wird ist nicht das Wesentliche, sondern die gesamte Körperarbeit, die hinter dem Gangmuster steckt. Nur so sind die Faszien komplett in das elegante und gleichzeitig ökonomische (Ballen)Gangmuster integriert. Und wer seine Faszien richtig nutzt, ist, ähnlich dem, der Lesen kann, klar im Vorteil :)

    Schöne Grüße von Stefan

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. ;-) Ich gestehe, dass ich "Faszien" erst mal nachschlagen musste. Bin jetzt aber einigermaßen im Bilde und experimentiere fröhlich weiter mit Deinem Ballengang-Kurs.
      Viele Grüße

      Löschen
  6. Oh, ich sehe, dass es dringenden Aufklärungsbedarf auf meinem Blog gibt. Heieiei, Arbeit, Arbeit, Arbeit ... :)

    Viel Erfolg, ich meinerseits habe mit dem Tango ja auch was zu tun :)

    AntwortenLöschen